
Im Sommer des Jahres 1989 machten sich Esten, Letten und Litauer auf den baltischen Weg. Eine ganze Bewegung erfasste Europa für Frieden in Freiheit auf die Straße zu gehen. Heute, 30 Jahre danach habe ich mich auf diese Spuren begeben, eine Reise, die mich als Reisebegleiter durch 10 Länder vom äußerten Westen Deutschlands einmal um die Ostsee führen sollte.
30.08.2019: Im Westen etwas neugierig! Aachen und der Dreiländerpunkt

Es muss schon skurril klingen, sich vorzustellen, einmal ganz in den Westen zu fahren, nur um in den Osten zu gelangen. Allerdings wirkte es doch zu verlockend genau dort zu starten, wo alles einst begonnen haben soll. Hier in der alten Kaiserstadt Aachen wirkte einst einer der Gründerväter Europas, der legendäre Kaiser Karl der Große. Gesagt getan, kaum in Aachen Hauptbahnhof angekommen, zeigt sich, hier ist die europäische Idee bereits Wirklichkeit geworden. Ohne lange nachzudenken kaufe ich mir ein Ticket, setze mich in den nächsten Bus und ehe mich einmal umsehe, habe ich, ohne es zu merken, Deutschland mit einem einfachen Nahverkehrsticket Richtung Vaals in den Niederlanden verlassen. Mitten aus dem Stadtzentrum mache ich mich auf den Weg und erreiche den wohl markantesten Punkt dieser Region, den „Drielandenpunkt“. Auf einmal weiß man nicht mehr so genau, ist wann noch in den Niederlanden, wieder in Deutschland oder schon in Belgien, denn diese drei Länder kommen hier zusammen. Auf dem Rückweg wandle ich zwischen Aachen und Vaals und frage mich immer wieder, auf welcher Seite ich gerade bin, denke mir aber wie schön es doch ist, einfach gemütlich im Zentrum Europas zu sein, die schönen Sonnenstunden zu genießen. Voller Eindrücke besteige ich am späten Abend den Reisebus, denn ich diese Woche betreuen werde.
31.08.2019: Ziemlich besondere Freunde- Auf nach Warschau

Im hinteren Ende des Buses mache ich mir es bequem und falle bald in einen tiefen Schlaf. Als ich wieder aufwache, hat der Bus bereits Ostdeutschland, die ehemalige DDR erreicht. Insbesondere anlässlich jüngster Wahlergebnisse gibt dieser Landesteil zu denken, wirkt die Infrastruktur und Landschaft, an der wir vorbeikommen in einem sehr guten Zustand. Gegen Mittag erscheint schließlich Frankfurt/ Oder sowie seine polnische Schwester Slubice am Horizont. Lange Zeit eine Stadt, lange Zeit durch die Geschichte getrennt, zeigt Slubfurt, wie die deutsch-polnische Stadt liebevoll auch genannt wird, dass Ost und West einander näherkommen. Am Nachmittag schließlich begrüßt uns die polnische Metropole Warschau bei strahlenden Sonnenschein. Nach der langen Fahrt lässt es sich herrlich bei polnischer Lebensart mit Musik, Tanz und Bier entspannen, die Lebensfreude unserer direkten Nachbarn erleben. Der nächste morgen steht ganz im Zeichen von Tradition und Moderne. Aufgewachsen in Deutschland erklärt unsere Stadtführer Antoni die Besonderheiten des modernen Polen. Auf der einen Seite stünde eine junge, weltgewandte Bevölkerung, die in den großen liberalen Städten einen gestiegenen Lebensstandard genießen. Auf der anderen Seite stünde das ländliche Polen, welches immer noch stark durch eine konservative Kirche und Politik geprägt sei. Erstaunt über die Schönheiten Warschaus machen wir uns auf den Weg weiter gen Osten. Hierbei durchqueren wir neben der reichsten Provinz (Woidowodschaft) Masowien auch die ärmste Provinz Podlachien. Diese Gegend ist vor allem landwirtschaftlich geprägt, hatte aber auch viele kulturelle Einflüsse, weshalb nicht umsonst die Plansprache Esperanto hier entstand.
01.09.2019 Midus Alus oder auf der Spur des Honigs nach Wilnius bis Riga

Auf einmal wirkt Litauen wie aus der Zeit gefallen, denn plötzlich springt die Uhrzeit mit dem Grenzübertritt um eine Stunde voraus. Mit Vilnius und Riga werden wir heute eine Region besuchen, die viele vor allem aus dem Geschichtsunterricht als das alte Ostpreußen kennen. Vielleicht mag es etwas verwundern, aber das historische Preußen hat seine Wurzeln von hier. Die Bezeichnung leitet sich ab vom Stamm der Prußen, welche einst in dieser Gegen lebten. Viele Eroberer, Missionare und Siedler haben das Baltikum geprägt, allen voran der Deutsche Orden, welche ab dem 12.Jahrhundert verschiedene Burgen und Städten gründeten. Ihnen folgten Händler und Kaufleute, die Hanse wurde zu einem verbindenden Element. Noch heute sind diese Spuren in den baltischen Metropolen zu entdecken, finden sich doch Ähnlichkeiten zu deutschen Hansestädten wie Lübeck, Bremen oder Rostock. Aber wo lässt sich diese Freundschaft besser feiern, als bei einem Honigbier (Midus Alus). Auf dem alten Gehöft der Pakruojis lässt gut nachempfinden, wie neues Leben in alte Gemäuer eingezogen ist. Passend dazu endet der Tag in der lettischen Hauptstadt Riga, deren bekanntester Sohn Heinz Erhardt den Ausspruch prägte: „Immer wenn ich traurig bin, trinke ich ein Midus Alus.“
02.09.2019 Wer kommen wollte kam, auf nach Tallinn

„Wer Estland erobern wollte, tat dies ohnehin“ scherzt der lokale Stadtführer gleich zu Beginn. Im Laufe der Geschichte hatte die Stadt, welche einst von Dänen gegründet wurde, viele Herren, doch blieb das alte Reval sich über die Jahrhunderte treu. Bis zum Ende der deutschen Geschichte auf dem Baltikum blieb die Amtssprache des Rates von Tallinn Deutsch. Wie seine Nachbarn wird diese Land durch eine wechselvolle Vergangenheit bestimmt, scheint aber schon einen Schritt weiter in Richtung Zukunft zu gehen. Das kleine Estland gilt als das progressivste Land, wenn es um die Digitalisierung geht. Jeder, der in Estland ein Unternehmen gründen oder sich hier ansiedeln möchte, kann mit wenigen Klicks E-Resident von Estland werden, und hat damit die gleichen elektronischen Möglichkeiten wie ein estnischer Staatsbürger. Am Abend blicke ich von der Altstadt auf die Ostsee gen Finnland, das lange als nah und doch fern galt. Während der Sowjetunion wurde die estnische Sprache verdrängt, jedoch ermöglichte es das finnische Radio Yle jeden Abend die estnische Nationalhymne zu hören. Diesem Ruf folgend, werden wir am nächsten Tag die Ostsee von ihrer windigen Seite aus kennenlernen.
03.09.2019: Hoch stand die Sauna an weißen Strand- Helsinki und Tartu

Bisher ging es um die Ostsee nun geht es über die Ostsee. Vom Hafen Tallinn aus erhebt sich gemächlich das riesige Schiff, dass mehr einer Kleinstadt als allem was ich bisher von Fähre gewöhnt war gleicht. Neben Restaurants und Supermärkten finden sich auch Bars und Kojen. Nach einem langen Gespräch rückt die finnische Küste langsam näher und obwohl die beiden Länder doch eine unterschiedliche Geschichte haben, scheinen die Unterschiede nicht so groß. „Das hier ist nicht Norwegen!“, macht die lokale Stadtführerin gleich zu Beginn deutlich. Kurz nach dem Ende des 1.Weltkrieges war Finnland vom russischen Zarenreich unabhängig geworden. Dies ist tief im Bewusstsein dieser jungen Nation noch verankert. Überall in der Stadt verteilt finden sich Bauten des Nationalromantizismus. Diese hinterlassen beim Betrachter einen monströsen Eindruck. Allen voran die weiße Kathedrale mit ihrem riesigen Platz ist schon von weiten zu erkennen. Sie steht sinnbildlich für die weiten und unberührten Landschaften ganz Skandinaviens. Fast verloren auf dem weitläufigen Gelände machen wir uns auf den Weg durch das südliche Finnland. Während ich so in die Wälder blicke, wird mir das finnische Prinzip der Sauna langsam verständlich. Nach der Sauna ist ein geflügeltes Wort, denn die Sauna ist der Ort, an welchem alle Sorgen des Alltags sich einfach im Dampf auflösen. Genau so geht es mir, als wir abends das Schiff erreichen, der Abend bei Vana Tallinn ausklingt.
04.09.2019 Eine Welt, wie sie uns gefällt- Stockholm bis Lund

Langsam erhebt sich die Sonne über dem alten freien Land. Es ist noch früher Morgen als uns ein frischer Wind in der schwedischen Hauptstadt Stockholm empfängt. Entlang der Ostsee rund um die Insel Drottningsholm und die Gamla Stan wird deutlich, welchen Einfluss das Haus Wasa einst nicht nur in der Ostsee, sondern in ganz Europa gespielt haben muss. Vorbei führt der Weg an der schwedischen Nationalakademie, wo jährlich der Friedensnobelpreis verliehen wird. Wie bedeutsam und leider doch zu selbstverständlich Friede hingenommen wird, dies wird mir in diesem Moment bewusst, wurden wir doch überall freundlich, fröhlich empfangen. Dann heißt es Abschied nehmen von dieser alten und doch modernen Stadt. Unser Weg führt uns durch Smaland, welches nicht nur durch schwedische Einrichtungshäuser bekannt ist. Zwischen den Seen und Wäldern wuchs die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren im Dorf Vimerby auf. Zwischen all den roten Häusern und bunten Landschaften ist es fast so, als würde man irgendwo in der Ferne die Villa Kunterbunt entdecken. Natürlich darf ein Besuch bei Elchen nicht fehlen, welche sich über unseren Besuch merklich freuen. Bei einem gemeinsam Öl, schwedisch für Bier, endet der Abend entspannt auf Schwedisch.
05.09.2019: Einfach nur Hygge- Kopenhagen

Was scheinbar nur für Wien galt, scheint auch für ein ganzes Land zu gelten. Die Dänen gelten als das glücklichste Volk der Welt, mit Hygge, einer Einstellung, die ein Reiseleiter wohl am ehesten folgendermaßen beschreiben würde: “Keine Sorge, irgendwann sind alle wieder im Bus.“ Aber bevor wir Dänemark erreichen liegt vor uns noch die Öresundbrücke. Diese ist knapp 16km lang und verbindet die beiden skandinavischen Länder miteinander. Da Dänemark das letzte Land unserer Reise sein wird, ist der Vergleich doch sehr passend, steht diese Brück gewissermaßen für Europa, dessen Kern es ist, Brücken zu bauen. In Kopenhagen angekommen wird schnell deutlich, dass die Dänen ein sehr lustiges Volk mit einer besonderen Art von Humor haben. Ob beim Tivoli oder neben der kleinen Meerjungfrau, das kleine stolze Land hat sich herausgeputzt. Dabei steht die Nachhaltigkeit hoch im Kurs, sind doch überall vergleichbar mit deutschen Autobahnen riesige Trassen für die Fahrräder zu entdecken. Plötzlich wie sooft in diesem Land fängt es an zu regnen. Die königlichen Wachen fordern uns auf, sich vom Palast zu entfernen, lassen uns im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen. Dies ist ein gutes Zeichen, langsam wieder die Heimreise anzutreten. Über Rødby und Puttgarden mit dem Zug über Schleswig-Holstein und Hamburg erreiche ich schließlich müde aber voller neuer Eindrücke nach einer langen Reise von West nach Ost, wieder von Norden den Süden.
Europa auf vielen Wegen- Europa ein gemeinsamer Weg!
Was bleibt zu sagen nach 10 Ländern und 5.000 Kilometern voller Geschichte(n) und Menschen, welche diese geprägt haben. Während dieser Tage habe ich unterschiedlichste Länder und ihre Bewohner mit ihren ganz eigenen Traditionen kennenlernen dürfen. Ohne Grenzkontrollen dafür mit grenzenlosen neuen Erfahrungen wird eines deutlich. Wir mögen aus verschiedenen Richtungen kommen, unterschiedliches erlebt haben, aber haben sich unsere Wege immer wieder getroffen. Für die Zukunft sollten wir nicht vergessen woher wir alle kamen, entscheidend ist aber auch daran zu denken, wohin wir gemeinsam gehen. Viele Wege führen durch Europa, denn ein vereinigtes Europa in Frieden und Freiheit ist der Weg.
